Mittwoch, 20. Juli 2011
(37) Wind und andere Widerwärtigkeiten
Tja, mit dem Frühstück verspielte der gute Michele die Aussicht auf eine weitere Zimmermiete. Es gab nämlich nur Zwieback (Fette, wie sie hier heissen) und dazu einen Cappuccino und einen sehr künstlichen Orangensaft. Noch nicht einmal ein Brioche wurde serviert, keine Milchprodukte, keine Früchte, kein Brot, rein Garnichts. Da war ich froh, dass ich gestern grosszügig einkaufen ging, denn so konnte ich im Zimmer dann ein Jogurt essen, dazu einen Pfirsich und ein paar Guetsli. Das sollte mir den Treibstoff für die Weiterfahrt liefern.
Nach dem Losfahren spürte ich sofort, dass es erstens nicht mehr so heiss war wie gestern und zweitens, dass der Wind um einiges zugelegt hatte. Und wie es so ist, weht mir der Wind frontal ins Gesicht und nicht in den Rücken. Es windet so stark, dass es immer wieder Sand und Staub aufwirbelt, was wirklich unangenehm ist. Dies auch deshalb, weil meine gestern gekaufte Sonnencreme irgendwie klebrig zu sein scheint, denn schon bald habe ich panierte Beine und Arme.
Dass ich die Strecke nicht wie geplant fahren kann weiss ich ja eigentlich, denn noch immer folgt meine violette Linie im GPS dem Bahngeleise. Leider ist die Gratiskarte auf dem GPS in dieser Gegend wenig detailliert und ich sehe darauf eigentlich nur die Hauptstrassen und Autobahnen. Auch die mitgenommene 1: 600´000er Karte kann da nicht wirklich helfen. Wenn ich nicht wieder bis zur Autobahn zurück will, muss ich etwas improvisieren, was bis zum nächsten Lido auch ganz gut klappt, wo ich wieder auf die geplante Strecke treffe.
Entlang der Küste hat es einen Streifen Pinienwälder und der Plan war, via eine Forststrasse durch einen dieser Pinienwälder bis zum nächsten Lido zu fahren, was aber schlicht nicht geht, weil der Untergrund viel zu sandig ist und ich so nicht fahren kann. Diesbezüglich schlechte Erfahrungen habe ich ja bereits hinter mir, das brauche ich nicht noch einmal. Also fahre ich ein Stück landeinwärts und versuche die nächste Querstrasse. Ein paar Kilometer geht das gut, bis die Strasse direkt vor einem Bach endet, der ins Meer fliesst. Der Bach ist etwa zehn Meter breit, doch ich kann nicht sehen, ob es auf der anderen Seite auch eine Strasse hat. Ausserdem müsste ich mehrmals durch das Wasser waten, denn das Velo mit Gepäck dran mag ich nicht über Kopf tragen. Es hilft alles nachdenken nichts, ich muss umdrehen. Also gelange ich wieder bis zur Parallelstrasse der Autobahn.
Der Wind ist extrem. Ich komme mir vor wie in einem (heissen) Windkanal und komme selbst auf ganz flacher Strecke nur mühsam voran. Es folgt die nächste Strasse zu einem Lido. Soll ich da überhaupt hinfahren oder soll ich direkt entlang der Autobahn weiterfahren? Ich will es noch einmal versuchen und fahre wieder ans Meer. Da sind die Strandbäder fast leer, weil der starke Wind den Sand parallel zur Küste weht. Aus etwas Distanz sieht das aus, als ob etwa einen halben Meter über Boden eine Nebelschicht hängt, doch das ist alles feinster Sand.
Hier gibt es dafür eine Parallelstrasse zur Küste, direkt hinter dem Waldstreifen, und so gelange ich zum "Lido di Metaponto". Hier gibt es nicht nur Strand, sondern ausgedehnte Feriensiedlungen und schon hoffe ich, dass die Haupt-Querstrasse weiter entlang der Küste führt. Das macht sie auch ein paar Kilometer, doch dann kommt wieder eines dieser bewachten Tore. Privatareal einer Feriensiedlung, Zutritt nur für Berechtigte. Also wieder umdrehen, zurückfahren und ins Landesinnere bis zur Autobahn. Wieder etwa zehn Kilometer voll gegen den Wind. Wenn das so weitergeht, muss ich mir Oropax in die Ohren stecken, sonst bin ich ab all den Windgeräuschen abends taub. Leicht abstehende Ohren haben manchmal auch Nachteile...
Es folgt "Marina di Pisticci", wieder so eine Retortensiedlung aus den 70er oder 80er Jahren. Staubige Strassen, ein paar Bars und Einkaufsläden, sonst nichts als Ferienhäuser und grössere Komplexe mit vielen Ferienwohnungen, wo die Leute in ihren Gärten im Schatten sitzen und dem bescheuerten Radfahrer nachsehen...
Wieder versuche ich eine Parallelstrasse zum Meer, die endet diesmal jedoch beim letzten Haus. Also wieder zurück zu Autobahn. Unterwegs komme ich an einer grossen IP-Tankstelle vorbei. Diese Tankstellenkette mausert sich zu meinen Lieblingen, denn sie haben immer klimatisierte Bars, mit einem guten Snackangebot, nettes Personal und saubere Toiletten. Da profitiere ich auch als Velofahrer gerne davon. Ich mache da meinen Mittagshalt und esse zwei Stück Pizza. Das baut wieder auf.
Der nächste Hammer lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Natürlich geht es wieder im vollen Gegenwind der Autobahn entlang, bis die Strasse unvermittelt endet. Vor mir ist zwar eine alte Brücke über einen Bach, die ist aber schon seit Jahren gesperrt und die Anfahrtsrampe wurde absichtlich so demoliert, dass da kein Durchkommen ist. Ich weigere mich jedoch umzudrehen. Ich stelle das Velo hin, klettere über die Abschrankung und gehe über die Brücke um zu sehen, ob auf der Gegenseite die Strasse weitergehen würde. Ja, das würde sie. Um dahin zu kommen muss ich mein Bike jedoch ein ziemliches Stück auf die Brücke hochtragen. Auf der Gegenseite gibt es einen schmalen Trampelpfad, der wieder auf die alte Strasse führt. Es kostet Schweiss und Nerven, doch es geht.
Endlich komme ich in die Nähe von "Policoro". Morgens dachte ich mir nämlich, dass ich die etwa 50 Kilometer bis dahin ganz locker fahren werde und mittags wieder am Strand baden kann. Nun ist schon mittags um halb drei Uhr und mit locker war bisher noch gar nichts.
Aus der Ferne sehe ich Rauchschwaden aufsteigen und denke mir, dass da wohl wieder abgemähte Felder abgebrannt werden, was bei der Trockenheit und dem Wind wohl ziemlich gefährlich ist. Von Policoro bis ans Meer zum "Lido di Policoro" sind es wieder geschätzte fünf Kilometer und auf der Strecke kommen mir immer mehr Wohnmobile entgegen. Feuerwehrautos überholen mich und Löschhelikopter sehe ich in der Luft. Da scheint wohl mehr als nur ein Kornfeld zu brennen.
Ohne viel nachzudenken fahre ich bis ganz an den Strand. Zuvorderst befindet sich ein grosser Campingplatz, der ziemlich im Rauch liegt und viele Leute stehen auf der Strasse und blicken nervös um sich. Wer ein Wohnmobil hat, der haut schon mal ab. Ich denke mir auch, wenn hier wirklich der Pinienwald brennt, dann Gute Nacht.
Ich halte an und trinke in einer Bar eine Cola. Es kommt ein Grossaufgebot an Sicherheitskräften in gelben Leuchtoveralls und ich beobachte, wie sie zuerst im Hauptgebäude des Campingplatzes verschwinden um kurz darauf wieder herauszukommen und in alle Richtungen des grossen Campingplatzes laufen. Über die Lautsprecheranlage wird nun die Evakuierung des Campingplatzes durchgesagt und die Sicherheitskräfte helfen den Leuten ihren Kram zusammen zu packen und weg zu fahren. Da trinke ich doch auch lieber schnell aus und mache mich aus dem Staub.
Ich fahre zurück nach Policoro und denke mir, dass ich wohl besser rasch ein Hotelzimmer suche, denn ich werde wohl nicht der Einzige sein, der für diese Nacht ein Zimmer braucht. So lande ich im Hotel Callà 2, einem grossen, ziemlich unpersönlichem Schuppen, nahe der Autobahn. Das Zimmer ist gross und einen Balkon hat es auch, 50 Euro habe ich schon oft bezahlt, geht also in Ordnung.
Der Abstecher an den Golf von Taranto, an die Schuhsohle Italiens, wird mir vermutlich nicht lange in Erinnerung bleiben. Das hat mir nicht so super gefallen, was man auch an den wenigen Fotos erkennen kann, die ich gemacht habe. Einiges ist nicht so gelaufen wie erhofft und so freue ich mich nun, dass es morgen wieder ins Hinterland und in die Berge des "Parco Nazionale del Pollino" geht. Das GPS sagt: 96 km., 5:17 Std., 220 Hm
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